EM-Auftakt für die Niederlande: Die besondere Rückkehr des Ronald Koeman (2024)

Kurz vor dem ersten Turnierspiel des von ihm betreuten niederländischen Teams am Sonntag gegen Polen hat seine Frau Bartina der Zeitung »De Trouw« ein Interview gegeben, in dem sie offen von ihrer Krebserkrankung erzählt hat. »Der Krebs ist jetzt chronisch«, hat sie berichtet, »aber ich bin trotzdem ein glücklicher Mensch. Ich habe ein sehr schönes Leben, mit meinem Mann und meinen Kindern.«

Eine gefährliche Gruppe

Es ist eine Geschichte, die in den Niederlanden emotional noch mehr Gewicht bekommt, wenn man bedenkt, dass die Niederlande beim bisher letzten Turnier, der WM in Katar, von Louis van Gaal trainiert wurden. Der zuvor seine Krebserkrankung öffentlich gemacht hatte.

Frankreich, Österreich, Polen

Es ist die wahrscheinlich attraktivste, gefährlichste und schwerste Vorrundengruppe bei dieser Europameisterschaft, in die die Niederländer hineingelost wurden. Vizeweltmeister Frankreich, der Ehrgeizling Österreich und Polen sind die Kontrahenten. Spiele auf Augenhöhe kann man erwarten, selbst ein Überteam wie Frankreich muss aufpassen, in dieser Gruppe nicht vorzeitig zu scheitern.

Eine niederländische Mannschaft bei einem Turnier in Deutschland – das ist besonders, das ist in Amsterdam, Rotterdam, Eindhoven und Groningen mit so vielen Erinnerungen beschwert. Vor genau 50 Jahren, im Sommer 1974, waren die Niederländer die Superstars der WM, umschwärmt aufgrund ihrer Lässigkeit, ihrer Eleganz, ihrer Fußballkunst.

Das Trauma von 1974

Johan Cruyff stand über allem, die Lichtgestalt, aber er war nicht allein: Wim van Hanegem, Johan Neeskens, Ruud Krol, Wim Jansen, Namen, die bis heute bei Oranje besungen werden, zusammengebunden und vereint durch die Trainerlegende Rinus Michels.

Die Revanche von Hamburg

14 Jahre später kam es zur Revanche, wieder ein Turnier in Deutschland, die Europameisterschaft. Wieder heißt der Bondscoach Rinus Michels, wieder eine große niederländische Mannschaft, wieder ein 2:1, aber diesmal triumphierte Oranje. Marco van Bastens spätes Siegtor im Hamburger Volksparkstadion besiegelte das deutsche Aus und ebnete den Weg zum bisher einzigen großen Titel der Niederländer.

»Het Volksparkstadion is van Oranje«, rief Livereporter Evert ten Napel auf, und das muss man nicht übersetzen. Ruud Gullit, van Basten, Jan Wouters, Berry van Aerle, Frank Rijkaard und Co. wurden Europameister.

Welche Aufwallungen dieser Sieg über die von Franz Beckenbauer betreute deutsche Elf auslöste, entlud sich in einem Bild nach dem Abpfiff. Ronald Koeman, der damalige Abwehrchef, wischte sich mit dem Trikot von DFB-Nationalspieler Olaf Thon den Hintern ab. Eine Szene, in der sich die ganze deutsch-niederländische Rivalität entlud.

Koeman hat diese Aktion später bereut, dem niederländischen Autor Auke Kok, der lesenswerte Bücher über 1974 und 1988 geschrieben hat, hat er gesagt, ihm sei danach klar gewesen, »dass er in Deutschland nie als Trainer wird arbeiten können«. Koemans Vater saß damals auf der Tribüne, er habe sich für seinen Sohn geschämt, erzählt Kok. Koeman selbst hat gesagt: »Diese dumme Aktion wird mich mein Leben lang begleiten.« Zumal es ein berühmtes Foto gibt, das die Szene vom feixenden Koeman für die Nachwelt festhält.

Schnee von gestern?

Es gehört zu den Anekdoten des Fußballs, dass das erste niederländische Gruppenspiel bei dieser EM am Nachmittag in Hamburg ausgetragen wird. Ausgerechnet, wie man dann immer so schön schreibt. Das alte Volksparkstadion von 1988, diese Betonschüssel mit ihrer Leichtathletik-Laufbahn, gibt es längst nicht mehr, dennoch war klar, dass die Szene mit Olaf Thons Trikot Koeman wieder einholt.

Olaf Thon ist dieser Tage wieder ein beliebter Interviewpartner, für den Schalker ist das allerdings Schnee von vorgestern. »Er weiß, dass er einen Fehler gemacht hat, das hat er oft gesagt. Es bedarf nicht eines Treffens oder einer Entschuldigung«, sagt Thon dem Sport-Informations-Dienst: »Das, was er gemacht hat, kann ich viel besser ertragen, als wenn er mir hinten die Achillessehne durchgetreten hätte.«

Keine Sanktionen für Koeman

Auke Kok ist sich allerdings sicher: »Wenn das ein DFB-Spieler mit einem holländischen Trikot gemacht hätte, der hätte nie wieder ein Länderspiel für Deutschland bestreiten dürfen.« Koeman kam damals ohne Sanktionen davon. Vier Tage später stemmte er mit seinen Kollegen die EM-Schale in den Nachmittagshimmel von München.

Die Ressentiments, die Revanchegelüste, das ist im deutsch-niederländischen Fußballverhältnis lange Vergangenheit, und man darf wohl anfügen: Gott sei Dank. Auke Kok sagt: »Was bis heute bleibt, ist eine gewisse Rivalität.«

Koeman hat Kok bei dessen Recherchen für das 1988er-Buch gesagt, glücklicherweise gebe es von seiner Olaf-Thon-Aktion keine Bilder. So gut kann Verdrängung funktionieren.